…oder: die Kinder die nicht lesen…
Kinder, die heutzutage in dem Alter sind, in dem sie als Teenager gelten, nenne ich (etwas traurig) die Generation Lost.
Geboren und erzogen von Eltern, die zu ihrer eigenen (Kinder)Zeit mit etwas völlig neuem konfrontiert worden sind, nämlich dem allumfassend transportablen Internet, mit all‘ seinen Verzückungen.
In Form von Smartphones, Tablets und Co.
Vorbei die Zeit der furzenden Klingeltöne, jetzt war echter Spaß und Freiheit pur angesagt. Heutzutage sogar „echter als die Wirklichkeit“…
Diese Eltern waren völlig unvorbereitet, ja die Gesellschaft war völlig unvorbereitet (also auch die Eltern dieser Eltern) und überrumpelt davon, was das plötzlich für die individuelle Zeiteinteilung eines jeden einzelnen Menschen bedeuten würde, diese allumfassende und „ganzheitliche“ Erreichbarkeit und „Mobilisierbarkeit“.
Abgelenkt von diesen digitalen Sensationen, verlernten sie unter Umständen selbst das Maßhalten und das vorbildhafte Benehmen (in diesem Fall der bewusste Umgang mit diesem neuen Medium), welches in Erziehungssituationen unabdingbar ist.
Das begann dann (aus kindlicher Sicht) im ungünstigsten Fall bereits damit, dass die Eltern z.B. beim Kinderwagen schieben eher in diesen eckigen Kasten glotzten und sich scheinbar lieber mit diesem beschäftigten, als ihr eigenes Kind anzusehen, und mit ihm „zu sprechen“, also mit ihm zu interagieren (kein Wunder, dass heute allen immer so schnell langweilig wird…).
Denn Mimik ist so ziemlich das erste, was Kinder als „Kommunikation“ erkennen können. Sie reagieren darauf, ahmen nach und lernen daraus. Und ihnen macht das sicht- und hörbar wohl ziemlich viel spaß.
Unschwer zu vermuten, was dies wohl heute bedeutet, noch zusätzlich erschwert durch mit Masken verhüllte Mienen…
Wenn die eigene „Elternzeit“ schon von dem Ding sie zu knechten beherrscht wird, was soll der Nachwuchs dann dabei denken und daraus machen?
Und wenn dann auch noch so ein praktisches Ding dafür sorgt, dass ich als Elternteil auch mal Ruhe habe vor den eigenen Kindern, dann ist mir doch erst einmal geholfen, oder etwa nicht?
Den medialen Werteverlust durch digitale Inkontinenz habe ich ja ebenda beklagt, doch was ich jetzt erst richtig verstanden habe, ist ein fast noch größeres Dilemma.
Die Kinder lesen kaum noch!
„Leseratte“ klingt heute wohl mehr den je nach Schimpfwort.
Ich persönlich finde das furchtbar und so ganz nebenbei für ALLE sehr, sehr doof (schließlich werden aus diesen Kindern auch irgendwann einmal Erwachsene, die nicht lesen…), denn:
Lesen bildet.
Lesen macht aus „ganz normalen“ Menschen gebildete Menschen, unabhängig von ihrer persönlichen Intelligenz.
Oder anders ausgedrückt:
„Lesen macht aus Muggeln Zauberer.“
Da drängt sich mir doch die Frage auf:
Wird das noch vorgelebt, wird den Kleinen denn noch vor dem Zubett gehen zuhause (Märchen) vorgelesen, ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Phantasie und ihren Gerechtigkeitssinn so anzuregen und auszubilden, wie es nur Worte und selbsterdachte Bilder können, noch dazu aus einem „vertrauensvollen Mund“?
Ist das noch so, oder wird der Nachwuchs mit „Handyzeit“ für „gutes Benehmen“ belohnt?
Wenn man das Prinzip „die Menge macht das Gift“ berücksichtigt und ansonsten diesbezüglich „medial maßhält“, als „Ritual“ dennoch durchaus sinnvoll.
Es kommt aber auch auf die Tageszeit an und ist natürlich kein Ersatz für Vorlesen, oder gar für z.B. eine Großmutter, die viele schöne Märchen erzählen kann.
Schließlich sind Märchen doch ungemein wichtig für „Gut und Böse“, für Tapferkeit, Mut, Geschick, Phantasie, Schläue, Zusammenhalt, Intrige, Verrat, Verlust, Geburt, Tod, Werden und Vergehen, Rätsel, Prüfungen, und so ziemlich alles „was das Herz begehrt“.
Spielen die Eltern noch Brett- und/oder Kartenspiele mit den Kindern, gehen sie „Abenteuer erleben“ (ein Zelt im Garten genügt für’s erste), erklären sie ihnen die Welt (so gut sie es können)?
Und wenn ich an meinen Kumpel denke, der seit annähernd 20 Jahren in einem integrativen Kindergarten arbeitet:
„Du Ralf, da kommen die Leut‘ ihre Kinder abholen, glotzen nur auf ihre Handys und begrüßen das Kind noch nicht mal richtig. Ich wundere mich immer, dass die überhaupt das richtige Kind mitnehmen…“
Die Kinder dieser Generation sind sozusagen Lost in Non-Translation, da sie sich selbst kaum spüren gelernt haben, kaum Vertrauen haben (können) in ihre Gefühlswelt, die beständiger (medialer) Ablenkungen unterliegt.
Wie „misst“ man sich mit Millionen und findet dabei heraus, was wichtig ist und wer man ist und wer man sein möchte…?
Kommunikation wird etwas anonymes, da indirektes, quasi verpixeltes Sein, welches den Nutzern einen Nutzen vorgaukelt den es nicht gibt, da die Schnelligkeit die Echtheit der Interaktion geopfert hat.
Wie anders als Ich-bezogen („ich komme zu kurz!“) können diese Kinder in Konfliktsituationen (mit sich selbst und der Umwelt) sein?
Kaum gelernt zu verlieren und wieder aufzustehen.
(Dabei lernt man seine eigenen Grenzen, aber auch die der anderen kennen)
Kaum gelernt zu lernen.
(Lernen bedeutet, wissen/können zu wollen. Manchmal ist es dabei nötig, es zu müssen, z.B. in der Schule, beim Laufen, für den Führerschein, beim Fahrradfahren, Jonglieren, Schwimmen usw.)
Kaum gelernt mit allem zu kommunizieren was zur Verfügung steht.
(Wir leben in einer dreidimensionalen Welt, also lernen wir auch in einer dreidimensionalen Welt. „Sehen und gesehen werden“ birgt viel mehr Information als augenscheinlich, vor allem, wenn noch die „vierte Dimension“ hinzu kommt)
Kaum gelernt zu verstehen, dass das Gegenüber, der Moment, immer ein Spiegel der eigenen Befindlichkeit ist.
(Es ist mir als Mensch völlig unmöglich zu wissen, „wie ich bin“, ohne dass es mir jemand sagt, zeigt bzw. spiegelt. Also letztendlich, welche Reaktionen ich beim Gegenüber auslöse (und es bei mir). Der Mensch kann nur als soziales Wesen (un)sozial sein, alleine geht das nicht. Und da man immer nur im jeweiligen Moment in den Spiegel schaut, weiß man auch immer nur, „wie“ man im Moment „ist“. Das gilt natürlich in umgekehrter Richtung ebenso)
Miteinander reden ist in dieser Ich-Bezogenheit auch nicht mehr so einfach möglich, da die Interpunktionsfähigkeit beim Gegenüber faktisch nicht mehr vorhanden ist und sich auch eine Verschränkung von eigener hin zu fremder Deutung vollzieht, denn das Individuelle ging verloren.
Verunsichert bis ins Mark, agieren sie quasi im Teamspeak, da „unteilbares“ Wissen nicht mehr vorhanden ist.
Doch somit bilden sie doch nur die heutige Gesellschaft nach, die an den Rand der kommunikativen Unfähigkeit getreten ist.
Zwar unbewusst, aber dennoch äußerst freiwillig.
Quasi non-literiert und 2D-isoliert.
Doch „Fürchtet Euch nicht!“, denn der Weg zurück ist wirklich echt (und) einfach:
- Sehen (Lesen, „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, Interessieren, Farben, Strukturen, Formen, Zusammenhänge, „inneres Wesen eines Dinges“ …)
- „Begreifen“ (Berühren, Umarmen, Spüren, Schreiben, Erbauen, Pflanzen, Bäume, Materie, „mit eigener Hände Arbeit“, …)
- Hören (Sprache, Nuancen, Betonung, Emotionen, Stil, Klänge, Töne, Geräusche, Stille, …)
- Wahrnehmen (Mich, mein Gegenüber, mein Gegenüber und mich in der Interaktion, die (Um)Welt, die/das „Andere/n“, …)
- Verstehen (die Informationen sammeln und umsetzen, Alles hängt mit Allem zusammen, Transferleistungen, „echtes“ Sein, …)
In liebevollstem Sinne:
Die Welt ist unendlich echt, Ihr lieben Nullen und Einsen.
Kleine Anekdote:
Einer meiner Chemieprofessoren damals im Maschinenbaustudium sagte so ziemlich als erstes im vollen Hörsaal zu uns etwa folgendes:
„Ich habe keinen Fernseher und Ihnen rate ich, werfen Sie diesen Verdummungskasten aus dem Fenster, Sie werden es nicht bereuen!“
Das war Anfang-Halbmitte der 90ziger und ich weiß auch überhaupt nicht mehr, wie wir darauf eigentlich kamen, aber ich weiß noch, wie unglaublich bescheuert ich das fand. Fernseher wegwerfen?, bescheuert.
Naja, heute bin ich zwar kein Maschinenbauingenieur, aber weiß umso besser was er meinte, auch wenn ich weder meinen Fernseher, noch mein smartes Phone mal so einfach aus dem Fenster werfen würde…